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Das Hauptaugenmerk der Erben sind ihre Theaterstücke. Auf solche Theaterstücke bereiten sie sich über ein Jahr lang vor. Die Erben versuchen auf Festivals, die Leute für die Band zu interessieren, damit sie dann evtl. ein Theaterstück oder ein komplettes Programm besuchen.

Die Erben spielen am liebsten vor bestuhltem Publikum, da es dann ziemlich still ist und die Leute aufmerksamer sind. Die Atmosphäre ist einfach eine ganz andere, als wenn sich die Zuschauer zwischendurch unterhalten. Aber am Schluss eines Stückes oder des Auftrittes möchte die Band einfach hören, dass es dem Publikum gefallen hat. Sehr befremdlich ist es hingegen, wenn das Publikum z.B. bei „5 Jahre“ oder „Schwarze Wesen“ in den Pausen klatscht, weil es diese für das Ende des Liedes hält. Bestuhlte Veranstaltungen sind aber leider sehr selten, da die Veranstalter natürlich vor allem wirtschaftliche Interessen haben. Eine Show der Erben lebt von der Optik und die kann man als Zuschauer am besten in einem Theater erleben. Konzerte in einem Theater sind daher auch der Wunschtraum von Oswald und Mindy, aber mit ihrem Konzept haben sie leider (noch) Schwierigkeiten die Veranstalter zu überzeugen.

Die Verbindung zwischen dem Publikum und den Künstlern wie im klassischen Theater ist ihnen sehr wichtig. Bei einem Konzert soll das Publikum einen provokativen Wiedererkennungswert verspüren. Die Band intensiviert die Atmosphäre eines Albums auf der Bühne, um einen Dialog aufzubauen – vor allem durch den Einsatz von Gestik und Mimik. Goethes Erben sind eine Live-Band durch und durch und obwohl ich nicht ein Album von ihnen missen möchte, stellt sich das ganze Ausmaß des Wahnsinns und der Melancholie live am besten dar.

Oswald hatte übrigens in der Schule in Deutsch in Inhalt und Ausdruck eine Eins und in Rechtsschreibung eine Vier gehabt... als Gesamtnote war das dann immer eine Zwei. Oswald sagt, dass es im Grunde seinem Deutschlehrer zu verdanken ist, dass Goethes Erben existiert, weil er die Sprache entdeckt hat und nicht so engstirnig war. Inhalte, darum geht es in der deutschen Sprache. Dieser Lehrer hat bei dem Dreipunkte-System (Inhalt, Ausdruck und Form) die Form immer etwas niedriger bewertet als alles andere. Hierdurch wurde Oswald, der Probleme mit der Rechtsschreibung, Interpunktion und diesem gesamten Regelwerk hat, gefördert. In der Sprache geht es ja eigentlich nicht darum, dass sie regelgerecht geschrieben ist, sondern was sie ausdrücken will.

Oswald sieht sich eher an Wagner orientiert, weil er aus Bayreuth kommt (Oswald: „Goethe hat halt etwas mit der deutschen Sprache zu tun, aber Wagner hat Texte geschrieben, die würden im Diktat 'ne Sechs bekommen, er hat Wörter erfunden, die gibt es gar nicht, und das finde ich gut, das ist Wortschöpfung. Ich erfinde auch Worte, die es nicht gibt, z.B. Seelenmord gibt es nicht, aber es ist ein sehr griffiger Begriff, warum kommt vorher niemand drauf ? Seelenmord hätten die Neubauten auch erfinden können...“).

Auch „Schreiheit“ ist so eine geniale Wortschöpfung aus Oswalds Feder.

Es gab einen problematischen Vorfall. Eine junge Dame schrieb den Erben einen Brief, in dem sie Goethes Erben dafür verantwortlich machte, dass sich ihr Bruder vermeintlich wegen dem Stück „Keiner weint“ („... und so verstummt mein Mund, bis mir neue Hände wachsen “) umgebracht hätte. Goethes Erben wiesen den Vorwurf zurück, aber es wurde ihnen klar, dass sie eine Verantwortung haben, wenn sie etwas publizieren. Von dem Moment an haben sie in ihrer Lyrik nichts mehr finalisiert. Seitdem sind die Schlussakte von Theaterstücken oder auch von Musikinszenierungen offen, d.h. es gibt noch immer Hoffnung (Oswald: „Ich glaube, das habe ich jetzt gelernt, du darfst den Leuten alles nehmen, Illusionen usw., du darfst Ihnen die Zukunft zerstören, aber du darfst ihnen eines nicht nehmen und das ist die Hoffnung.“).

Die Erben schreiben oft über schreckliche Dinge und negative Themen, aber das Schöne ist, dass man erkennt, dass man mit solchen Gedanken nicht alleine ist.

Oswald liest sehr wenige Bücher, weil er Angst hat, dass er anfängt, zu kopieren. Bei Mindy ist es genau umgekehrt. Sie hört dafür privat wenig Musik, damit sie nicht anfängt, zu klauen.

Es gab im Laufe der Zeit einige Musiker, die Goethes Erben, u.a. aus berufsbedingten Gründen, verlassen haben (Harald Lindemann, Troy).

Troy hat immer eine Zwitterrolle innegehabt. Er war stets ein Gastmusiker, aber als solcher einer, der wirklich pro Album mindestens ein Stück beigesteuert hat. Also der Einzige, der auch musikalisch bei Goethes Erben mitgewirkt hat. Bei „Blau“ war Troy wirklich dabei und wurde auch als festes Bandmitglied tituliert, bei „Schach …“ hat er sich schon zurückgezogen und bei „Kondition: Macht!“ war er eigentlich so gut wie gar nicht mehr als Mitkomponist beteiligt. Nach der Aufführung von „Kondition: Macht!“ in Berlin ist Troy dann ausgestiegen.

U.a. hat „Blau“ die Band in ein finanzielles Fiasko gesteuert. Allein die Produktion von „Schach ...“ hat so viel gekostet, wie alle Alben vorher.

Das Fatale war/ist, dass die Erben so viel Zeit für die Musik aufwenden, dass sie keinem normalen, geregelten Beruf nachgehen können und dass die Musiker kein ausreichendes Geld verdienen. Besonders schwierig war das 1996, als sich die „Schach ...“ im ersten Halbjahr so gut verkauft hatte und sofort Steuern für das nächste halbe Jahr fällig wurden, in dem die Erben so gut wie nichts verdient haben. Das hätte die Erben damals beinah in ein Konkursverfahren gestürzt. Bei den Konzerten gehen sie auch nur halbwegs plus minus Null raus, weil sie 17-19 Leute dabei haben, die alle bezahlt werden müssen (Mindy: „Das ist auch ein Missverständnis, weil die Leute denken, wir wären reich oder so, dabei haben wir irgendwie nur Minus auf dem Konto“).

Ein Traum der Erben ist es, sich kreativ austoben zu können, ohne über die Finanzierbarkeit einer Idee nachzudenken. Sie fänden es schön, wenn sie künftig mit einem festen Ensemble arbeiten könnten, dessen Mitglieder von der Musik leben können, allerdings halten Sie diesen Wunsch derzeit nicht für realisierbar.

Inzwischen hat die Band einige Künstler, die ihre Werke seit längerer Zeit begleiten. Susanne Reinhardt an der Violine, bis zum Sommer 2003 Christoph Ziegeler am Bass (er hat aufgehört, weil er Vater wurde), Carsten Klatte als Gitarrist bis zu „Schattendenken“ (Carsten ist auch Gitarrist bei Pitchfork und Wolfsheim), Markus Köstner am Schlagzeug, Ulrike Rank prägt den unverwechselbaren grafischen Stil der Band.

Nach mehreren gescheiterten Versuchen halte ich es inzwischen für annähernd unmöglich, sämtliche Gast- und Studiomusiker zeitlich zu benennen. Ständig verschwinden diverse Musiker, um Jahre später auf einmal wieder aufzutauchen. Nehmen wir z.B. Troy, der eigentlich nach der Uraufführung von „Kondition: Macht!“ die Erben verlassen hat. Im Dezember 1999 tauchte er zusammen mit Harald Lindemann auf einmal wieder auf der Bühne bei den „Dark Storm“-Festivals auf, um wieder für mehrere Jahre zu verschwinden. Bei den beiden Festival-Auftritten der Erben im Sommer 2005 (Woodstage & Amphi-Festival) war er, sehr zu meiner Freude, wieder dabei. Hierfür ist Carsten Klatte, der eine nicht unwichtige Rolle bei „Schattendenken“ hatte, wieder verschwunden. Daher bitte ich den geneigten Leser, mir zu verzeihen, dass ich den Versuch aufgegeben habe, das Line-Up der Erben in den letzten 16 Jahren vollständig aufzuführen. Sogar Herr Henke selbst hatte bei dieser Thematik enorme Probleme.


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